„Zwei Tage für `ne Überweisung?!“

Wie innovative Technologien unsere Finanzsysteme verbessern können

„Es ist und bleibt unbestritten, dass ein funktionierendes Finanzsystem von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung und das Wachstum einer Volkswirtschaft ist“ (Sixt 2017, S. 75). Mit dieser Aussage betont Elfriede Sixt den hohen Stellenwert zeitgenössischer Finanzsysteme für unsere Wirtschaftswelt. Ein distanzierter Blick auf die aktuelle Lage lässt jedoch folgende Fragestellung offensichtlich werden: Während heutzutage, im modernen Informationszeitalter, Daten immer schneller und flexibler ausgetauscht werden können, warum wird dann unser Geld hingegen vergleichsweise langsam bewegt? (vgl. Sixt 2017, S. 75). Um Antworten auf diese Frage zu finden, ist es notwendig, die gegenwärtigen Strukturen und Zusammenhänge unseres Finanzsystems zu beleuchten. Dabei wird offensichtlich, dass derartige Transaktionssysteme gravierende Ineffizienzen aufweisen.

Das Wesen unseres heutigen Finanzsystems

Das Finanzsystem der heutigen Zeit ist ein sehr komplexes Konstrukt aus verschiedensten Akteuren und deren Wechselbeziehungen zueinander. Die Deutsche Bundesbank, als ein wichtiger Bestandteil dieses Systems, veranschaulicht die Zusammenhänge in einem Modell, welches in Abbildung 1 dargestellt wird. Das Finanzsystem besteht dabei aus einer Angebotsseite des Kapitals (zumeist private Haushalte), den zwischengeschalteten Intermediären (Banken, Versicherungen und Investmentfonds), den Finanz- und Kapitalmärkten sowie der Nachfrageseite des Kapitals (zumeist Unternehmen des privaten Sektors und öffentliche Institutionen). Sie alle interagieren innerhalb einer technischen Infrastruktur, welche sowohl Zahlungsverkehr als auch Wertpapierhandel regelt (vgl. Deutsche Bundesbank 2015, 86 – 87).

Das Finanzsystem, eigene Darstellung. Quelle: Deutsche Bundesbank 2015, S. 86).
Abb.1: Das Finanzsystem, eigene Darstellung. Quelle: Deutsche Bundesbank 2015, S. 86

Die Kernaufgabe des Finanzsystems ist es, die Weiterleitung von Kapital zwischen den Angebots- und Nachfrageparteien zu erleichtern. „Das Finanzsystem in Deutschland und in vielen kontinentaleuropäischen Ländern… ist stark bank-basiert“ (Deutsche Bundesbank 2015, S. 87), was bedeutet, dass jenen Banken und Versicherungen, auch Finanzintermediäre genannt, vielfältige Verantwortungen und Aufgaben zu Teil werden. Findet nun eine grenzübergreifende Finanztransaktion, beispielsweise ein Wertpapierübertrag zwischen Angebots- und Nachfrageseite statt, so werden häufig mehrere intermediäre Zentral- und Geschäftsbanken involviert. Um diese Abwicklungen zu gewährleisten, spielen leistungsfähige IT-Systeme eine enorm wichtige Rolle (vgl. Deutsche Bundesbank 2015, S. 87 – 89).

Die Entwicklungen bis heute

In den 1970er Jahren etablierten sich in den Ländern Europas eine Reihe individueller Standards im bargeldlosen Zahlungsverkehr, die es ermöglichten, Transaktionen vereinfacht und kostengünstig abzuwickeln. Der Mangel an gemeingültigen und länderübergreifenden Regeln führte jedoch zu einer Zersplitterung der Zahlungssysteme, was den Handels- und Warenverkehr innerhalb Europas erheblich beeinträchtigte (vgl. Dittrich 2012, S. 16).

Aktuelle Statistiken untermauern derweil den wachsenden Stellenwert eines einheitlichen Zahlungsverkehrs in Europa. Die Summe der bargeldlosen Transaktion im Euro-Raum, bestehend aus Überweisungen, Lastschriften, Schecks, E-Money und Kartenzahlungen, steigerte sich im Zeitraum von 2011 bis 2014 von etwa 60 Mrd. auf knappe 70 Mrd. Transaktionen pro Jahr. Dies entspricht einem Tages-Durchschnitt von knapp 194 Millionen Transaktionen im Jahr 2014 (ausgenommen Bargeldverkehr). Neben den klassischen Instrumenten konkurrieren auch innovative Payment-Services, wie bspw. PayPal um ihre Marktanteile (vgl. Mai 2015, S. 3). Sixt stellt an diesem Punkt folgenden Zusammenhang klar:

„Trotz der technologischen Innovationen basiert vor allem die Backend Infrastruktur der momentan weltweit verwendeten Finanzsysteme und der darauf aufsetzenden bargeldlosen Konsumentenzahlungssysteme noch immer auf Technologien aus den 60er und 70er Jahren“ (Sixt 2017, S. 76).

Diese Zustände kollidieren ganz offensichtlich mit den Entwicklungen einer zunehmend digitalen und globalen Wirtschaftswelt.

Wo liegen die Schwächen?

Die internationale Unternehmens- und Technologieberatung BearingPoint stellte 2016 in ihrer Studie die typischen Prozesse der Finanzsysteme auf den Prüfstand: Die aktuellen Finanzsysteme basieren auf historisch gewachsenen Transaktions-Architekturen, welche aus multiplen Kontenbüchern, sogenannten „Multi Ledger“ bestehen und somit zu hohen Kosten, Risiken, Übertragungsdauern und Marktineffizienzen führen. Mit anderen Worten: Die Vielzahl an Finanzkontrakten des Systems werden von verschiedensten Banken, Börsen und Wertpapierverwahrstellen als digitale Datensätze über verschachtelte und proprietäre, d.h. in Eigentum jener Intermediäre befindlichen Kontenbüchern, durchgeführt (vgl. Bosch/Grewe 2016, S. 5). Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass Finanztransaktionen durch die vielen Hände der Zwischenstellen wandern müssen und sich somit die Transaktionsdaten über alle individuell geführten Bücher der gesamten Kette verstreuen.

In der technischen Infrastruktur erfordert dies dann höchst anspruchsvolle Abstimmungsprozesse zwischen den intermediären Banken, um Clearing und Settlement, also die Verrechnung und Erfüllung der Transaktionen, in ihren heterogenen Büchern zu synchronisieren (vgl. Bosch/Grewe 2016, S. 5). Somit dauert es nach heutigen SEPA Regularien oftmals einen ganzen Werktag, bis Bankkunden ihre Kontengutschriften erhalten (vgl. Ohlhausen 2015, o.S.).

Ein Paradebeispiel

BearingPoint liefert ein simples Beispiel aus dem Bankenalltag, dargestellt in Abbildung 2, welches die systemimmanenten Ineffizienzen optimal veranschaulicht. In der Ausgangssituation verkauft ein Schweizer Anleger aus seinem Depot heraus Deutsche Staatsanleihen an einen britischen Käufer. Da bei dieser trivial erscheinenden Transaktion jedoch bis zu zwölf internationale und intermediäre Banken eingeschaltet werden, dauert es bis zu vier Tage und verursacht Kosten von ca. 40 Euro, bis Käufer und Verkäufer ihre Gegenleistungen erhalten können (vgl. Bosch/Grewe 2016, S. 5).

Prozessarchitektur einer Wertpapiertransaktion, eigene Darstellung. Quelle: Bosch/Grewe 2016, S. 6)
Abb. 2: Prozessarchitektur einer Wertpapiertransaktion, eigene Darstellung. Quelle: Bosch/Grewe 2016, S. 6

Die gesamte „Multi-Ledger Zahlungsverkehrsarchitektur“ ist von einer starken Interdependenz zwischen den seriellen Prozessen und der erheblichen Menge an Betriebsaktivitäten gekennzeichnet. Die resultierenden, mehrtägigen Transaktionszeiten führen bei den Banken zu hohen Kosten sowie Kredit- und Liquiditätsrisiken (vgl. Bosch/Grewe 2016, S. 5).

Ein großer Kritikpunkt ist, dass das derzeitige System stark auf Vertrauen zwischen den Marktteilnehmern basiert, und dabei durch diverse Umwelteinflüsse, wie Terrorismus und Betrug, bedroht wird. Trotz einer hohen Industrialisierung und Prozessraffinesse ist das System bis auf weiteres sehr risikoanfällig und teuer (vgl. Bosch/Grewe 2016, S. 5). Diese Symptomatik verursacht bei den Banken Back-Office-und IT-Aufwendungen von schätzungsweise 100 bis 150 Milliarden Euro pro Jahr (vgl. Wetzel 2016, o.S.).

Innovationen im Zuge der Digitalisierung

Es lässt sich somit die berechtigte Vermutung aufstellen, dass sich Banken mit ihrem Geschäftsmodell des Zahlungsverkehrs in einer Sackgasse befinden. Über einen langen Zeitraum hinweg waren diese offenkundigen Schwachstellen tragbar, weil es für die Banken ein dennoch sehr profitables Geschäft war und es schlichtweg an Alternativen mangelte. Doch in den letzten Jahren hat im Zuge der Digitalisierung ein Umdenken auf Seiten der Verbraucher stattgefunden. Es herrscht die klare Erwartungshaltung der Bankkundschaft an einen einfachen, günstigen, schnellen und sicheren bargeldlosen Zahlungsverkehr (vgl. Dittrich/Egner 2012, S. 7). Diesen Bedarf haben Start-Ups und andere Wettbewerber frühzeitig erkannt und versuchen nun, das bestehende Finanzsystem auf allen Ebenen zu revolutionieren.

„Der Finanzdienstleistungssektor steht vor einem nie dagewesenen Umbruch“ (Drummer et al. 2016, S. 1). Mit dieser These prophezeit die renommierte Strategieberatung McKinsey&Company sogar die existenzielle Bedrohung tradierter Geschäftsmodelle der Banken. Sogenannte Fin-Techs drängen durch ihren schlanken, agilen und innovativen Charakter auf den Markt und stiften in vielen Teilen der Wertschöpfungskette Unruhe. Gerade in Bereichen wie dem Privatkundenzahlungsverkehr zeigen gewachsene Start-Ups, wie beispielsweise PayPal, wie das System über P2P Payments (Peer-to-Peer Direktzahlung) günstiger, schneller und mobiler gestaltet werden kann (vgl. Drummer et al. 2016, S. 2 – 6).

Ganz besondere Aufmerksamkeit galt dabei in der jüngsten Vergangenheit den virtuellen Währungen (Kryptowährungen), allen voran Bitcoin, Ethereum und Ripple. Bitcoin ermöglicht einen Zahlungsverkehr ohne Mittelsmänner, in Sekundenbruchteilen, zu verschwindend geringen Kosten bei totaler Transparenz. Während die Währung selbst eine eher kontroverse Entwicklung nahm, löste die dahinterstehende technologische Architektur einen Hype aus (vgl. Weiguny 2016, o.S.). Jene funktionale Grundlage, bekannt als die sogenannte Blockchain, beruht konzeptionell auf der Distributed Ledger Technologie und wird in der Finanzwelt als der große „Gamechanger“ gehandelt, welcher das internationale Finanzsystem grundlegend verändern soll. Die visionäre Idee der Blockchain ist es, einen globalen Austausch von Werten zu ermöglichen, ohne eine Oberaufsicht, komplexe Verifizierungsverfahren oder intransparente Gebühren. Dies sind aber genau jene Prozesse, mit denen viele Banken heute noch ihr Geld verdienen (vgl. Schmiechen 2016, o.S.).

Für Melanie Swan, die Gründerin des „Institute for Blockchain Studies“, besteht kein Zweifel daran, dass die disruptive Innovation der Blockchain zu enormen Mehrwerten für unser Wirtschafts-, Politik- und Rechtssystem führen wird. Dadurch wird sie auch in der Lage sein, sämtliche Aspekte unseres Gesellschaftssystems neu zu definieren. Dazu bricht Swan die Blockchain Revolution in drei Entwicklungsstadien herunter:

Blockchain 1.0 steht für die Entwicklung digitaler Zahlungsverkehrsdienste über Kryptowährungen und somit als Ergänzung zum traditionellen Bargeld. Blockchain 2.0 legt den Grundstein für einen noch viel größeres und vielfältigeres Nutzenspektrum. Das gesamte Finanzsystem wird die Art und Weise wie es Aktien, Anleihen, Futures, Löhne und Hypotheken bisher handelt, grundlegend verändern. In der Blockchain 3.0 werden sich dann auch Regierungen, das Gesundheitswesen, Wissenschaft, Literatur und Kunst in ihren Anwendungen neu erfinden. (vgl. Swan 2015, S. IX).

Fazit

Anhand der modellhaften und alltäglichen Wertpapiertransaktion wurden die symptomatischen Schwachstellen unserer Finanzsysteme (Kosten, Dauer, Risiken, Aufwand der Prozesse) klar ersichtlich. Disruptive Technologien, wie die Blockchain, wären dazu in der Lage, unser Verständnis eines modernen Transaktionssystems völlig neu zu definieren. Mittlerweile konnten sogar erste Blockchain-Prototypen beeindruckende Erfolge feiern und damit ihre zukünftigen Potentiale aufzeigen (Zum Blockchain Prototypen der targens GmbH geht es hier). Überweisungen, auf die wir bis zu zwei Tage warten müssen, scheinen damit bald antiquiert, denn das Bild eines sicheren „Wertpapierkaufs im Handumdrehen“ nimmt kontinuierlich Gestalt an.

Literaturverzeichnis

Bosch, Robert/Grewe, Iris (2016): Can the financial services industry master cryptofinance? Online im Internet, http://www.bearingpoint.com/ecomaXL/files/BearingPoint-Institute_006-01_Can-the-financial-services-industry-master-cryptofinance.pdf&download=0 von 2016, Abfrage v. 25.07.2017
Deutsche Bundesbank (Hrsg.) (2015): Das Banken- und Finanzsystem. In: Deutsche Bundesbank (Hrsg.): Geld und Geldpolitik. Frankfurt a. M., S. 86 - 89
Dittrich, Alfred (2012): SEPA heute und morgen – Gegenwart und Zukunft!. In: Dittrich, A., Egner, T. (Hrsg.): Trends im Zahlungsverkehr (1. Aufl.). Köln, Bank-Verlag, S. 15 - 45
Dittrich, Alfred/Egner, Thomas (2012): Vorwort. In: Dittrich, A., Egner, T. (Hrsg.): Trends im Zahlungsverkehr (1. Aufl.). Köln, Bank-Verlag, S. 7 - 11
Drummer, Daniel/Jerenz, André/Siebelt, Philipp/Thaten, Mario (2016): FinTech - Herausforderung und Chance. Online im Internet, https://www.mckinsey.de/files/160425_fintechs.pdf vom 03.2016, Abfrage v. 12.08.2016
Mai, Heike (2015): Instant revolution of payments. The quest for real-time payments. Online im Internet, http://www.dbresearch.com/PROD/DBR_INTERNET_EN-PROD/PROD0000000000378543.PDF vom 09.12.2015, Abfrage v. 10.08.2016
Ohlhausen, Ralf (2015): Instant Payments: Eine kritische Betrachtung. Online im Internet, https://www.wiso-net.de/document/DIBA__2015090188 von 09.2015, Abfrage v. 09.08.2016
Schmiechen, Frank (2016): Einmal Blockchain zum Mitreden, bitte!. Online im Internet, http://www.gruenderszene.de/allgemein/blockchain-wie-geht-das vom 13.01.2016, Abfrage v. 10.08.2016
Sixt, Elfriede (2017): Bitcoins und andere dezentrale Transaktionssysteme. Blockchains als Basis einer Kryptoökonomie. Wiesbaden, Springer Fachmedien
Swan, Melanie (2015): Blockchain. 1. Aufl., Sebastopol, O’Reilly Media Inc.
Weiguny, Bettina (2016): Bargeld, Banken und Betrüger. Online im Internet, http://www.faz.net/aktuell/finanzen/devisen-rohstoffe/blockchain-soll-finanzwelt-revolutionieren-14120922.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 von 16.03.2016, Abfrage v. 11.08.2016
Wetzel, Katharina (2016): Im Fieber. Online im Internet, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/blockchain-im-fieber-1.2908084 von 16.03.2016, Abfrage v. 09.08.2016

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